

Roteisenstein ...
ist die Rohstoff-Basis für das ZORGER Hüttenwesen und den Maschinenbau. Die zahlreichen Stollen und ´Pingen´ vor allem am Kirchberg lieferten dieses Erz, das dann im Tal aufgeschmolzen und im Maschinenbau verarbeitet wurde
Das ausgerechnet im kleinen Ort ZORGE die ersten Lokomotiven Deutschlands gebaut wurden, mutet aus heutiger Sicht schon fast ´unglaublich´ an: Weder hatte ZORGE im Jahr 1842 einen Gleisanschluss noch war man im Sinne der beginnenden Eisenbahnentwicklung ein zentraler Ort. Im Gegenteil: Relativ abgelegen in einem Tal des Oberharzes war die Erreichbarkeit von ZORGE eingeschränkt.
Und dennoch wurden hier die ersten Lokomotiven für die Braunschweigische Staatsbahn gebaut!
Das hatte natürlich und sehr wohl gute Gründe: ZORGE besass als Teil des Landes Braunschweig eine vergleichsweise hoch entwickelte Eisenfertigung! Zwar weit weg von der Hauptstadt, aber im Besitz des Staates. Eine ´Giesserei´ war die Voraussetzung für den damaligen Maschinenbau. Punkt zwei: In den umliegenden Bergen des Reviers am Zorger Kirchberg wurde ´direkt vor Ort´ Roteisenstein in Pingen und tiefen Stollen in grösserer Menge abge-baut. Und dieses Erz wurde dann auch noch in ZORGE selbst, nämlich in der ´Hütte´ am Reihersberg aufgeschmolzen.
Zum Verständnis wichtig: Zu dieser Zeit war es noch nicht die Steinkohle, die die Hochöfen befeuerte, sondern die notwendigen Temperaturen erreichte nur die Holzkohle … ein Brennstoff, den man in den Harzwäldern in grossem Umfang in aufgesetzten Meilern ´köhlern´ konnte.
All das zusammen waren somit genau die Standortvorteile, welche man für den ganz neu entstehenden Lokomotivbau brauchte. Vielleicht ist hier ein Vergleich zu heute hilfreich: Die Entwicklung und der Bau der Dampfmaschine war eine technische Revolution und in seiner gesellschaftlichen Bedeutung nicht minder entscheidend wie die Erfindung des Internets vor wenigen Jahrzehnten.
Die Zorger Maschinenfabrik, die damals noch direkt im Ort stand (siehe Plan), fertigte zwischen 1842 und mehrere Lokomotiven, deren gemeinsames Vorbild zuvor aus England ´eingeschmuggelt´ worden war. Der Transport der fertigen Tonnen schweren Loks erfolgte mit Pferd und Wagen als im wahrsten Sinne des Wortes Schwertransport über den Harz hinweg nach Bad Harzburg … dort begann die Schienenstrecke des Landes nach Braunschweig und dort wurden die Lokomotiven für den Verkehr zwischen der Hauptstadt und Hannover bzw. Magdeburg eingesetzt.
Fassen wir zusammen: Die Entstehung des Lokomotivbaus in Zorge steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bergbau- und Hüttengeschichte des Ortes ZORGE. Es war eine Revolution der Technik, die mit ZORGE im Mittelpunkt stattfand!
Schauen wir nun auf die Grundlagen des Maschinenbaus, also den Erzabbau (mit der zugrundeliegenden Geologie) und die daran ´hängende´ Eisen-Verhüttung/-Schmelze in Zorge.
Bereits im 12. Jahrhundert legten Mönche in der Umgebung des Klosters Walkenried einige Erzschmelzhütten an, darunter wahrscheinlich auch eine im Gebiet des heutigen Ortes Zorge. Bei der Zorger Hütte soll es sich um eine Kupferhütte gehandelt haben, jedoch lässt sich dies nicht eindeutig nachweisen. Kupfer spielte in der Bergbaugeschichte von Zorge letztlich und ohnehin keine bedeutende Rolle, da es als Rohstoff ´geologisch´ nicht im ausreichendem Masse vorhanden war.
Hingegen erlangte der Abbau von Eisenerzen (Roteisenstein) zunehmende Bedeutung. Die Entdeckung von Ganglagern im Bereich des Zorger Kirchbergs im 16. Jahrhundert brachte für Zorge einen großen Aufschwung.
Im Zuge des 30 jährigen Krieg waren die Gruben und Eisenhütten allerdings erst einmal wieder größtenteils stillgelegt worden bzw. sie verfielen. Im westfälischen Friedensvertrag von 1648 wurde das bisher dem Grafen von Hohnstein unterstehende Klostergebiet - hierzu zählte auch Zorge - dem Herzog von Braunschweig zugesprochen. Zum Schutz und zur Förderung des Bergbaus gab das Herzogtum besondere Bergfreiheiten heraus, was einen weiteren Aufschwung in Zorge nach sich zog. Nach 1670 wurden 12 neue Gruben in Betrieb genommen und 1724 zählte man allein im Gebiet um Zorge 42 herrschaftliche und 10 private Gruben.
Eine merkliche Verschlechterung der Situation trat nach 1760 ein, als die Grubenausbeute schleichend abnahm. Die aufgrund des voranschreitenden Klimawandels („Kleine Eiszeit“) schlechten Ernten jener Jahre erschwerten das Leben der Bevölkerung zusätzlich.
Vor dem dreißigjährigen Krieg existierten in Zorge nur einige kleinere Hütten- bzw. Schmelzplätze. Mit der Zunahme der Eisenerzförderung nach dem langen Krieg wurde der erste richtige Hochofen am Fuße des Reiherberges in Zorge erbaut. Die Gruben lieferten und schon bald reichte die Kapazität dieses Hochofens nicht mehr aus, so daß man sich zum Bau eines zweiten entschloß. Wie stark die Eisenförderung zu der Zeit anstieg, zeigt die konkreten Zahlen: 1732 lieferten die Gruben nur 3400 Karren Eisenerz an die Zorger Hochofenhütte, 1753 waren es dagegen schon 7000 Karren. Im Jahre 1780 lieferte die Hütte 6000 Zentner Eisen nach Clausthal und 5000 Zentner nach Berlin.
Um auch einige Gußteile anfertigen zu können, wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Hütte eine Formerei eingerichtet. Man fertigte eiserne Öfen, Handels- und Kunstguß, Maschinenguß sowie Teile für Buchdruckerei-Pressen und Zylindergebläse. Auch Ofenplatten mit dem künstlerisch ausgeführten, springenden Roß kamen aus Zorge. Die beiden braunschweigischen Löwen und der 44 t schwere und 22 m hohe Obelisk, der sich zur Erinnerung an die 1806 und 1815 gefallenen zwei Weifenherzöge in der Stadt Braunschweig befindet, wurden in der Oberzorger Gießerei am Reihersberg gegossen.
Um sich gegen die zunehmende Konkurrenz zu wehren, wurden 1817 zwei englische Former in Zorge eingestellt, mit deren Hilfe in der folgenden Zeit größere Gußarbeiten angefertigt und Verbesserungen in der Formarbeit eingeführt wurden. Daraufhin stieg die Produktion der Hochöfen wieder an. In diese Zeit fällt der Bau der berühmten Maschinen- und Lokomotivfabrik. In der Zorger Maschinenfabrik wurde der Großteil des Eisens aus der Hochofenhütte verarbeitet, was für die Produktion (kurze Wege!) ein enormer Vorteil war. Kaum einmal erwähnt wird, dass nicht zuletzt die Köhlereien etwas unverzichtbares lieferten … Holzkohle für die Schmelzöfen aus den umliegenden Buchenwäldern.
In der Mitte des 19.Jahrhunderts traten in Deutschland allerdings zwei bedeutende Veränderungen ein, die sich auf die Zorger Industrie äußerst ungünstig auswirkten. Zum einen setzte sich die Eisenbahn unaufhaltsam als billiges und schnelles Transportmittel durch. Für die Zorger Hütten war es sehr nachteilig, daß der Ort erst 1907 einen Bahnanschluß bekam. Zum anderen veränderte sich der Hochofenbetrieb. Lag bisher das Hauptgewicht auf der Holzkohle als Energieträger, so trat nun die Steinkohle zunehmend in den Vordergrund, woraufhin in den steinkohlereichen Gegenden Deutschlands das Eisen billiger produziert werden konnte. Da im Harz nur Holz als Energieträger zur Verfügung stand, verteuerte sich die Eisenherstellung erheblich. Die Hüttenbetreiber standen vor der Entscheidung, entweder Steinkohle von außerhalb zu beziehen oder weiterhin die durch die Herstellungskosten teure Holzkohle zu verwenden. Und für den Steinkohlebezug fehlte (noch) der Bahnanschluss … .
Um wenigstens etwas mithalten zu können, entschied man 1861 auf der Zorger Hütte einen sogenannten Cupolofen einzurichten, in dem bereits verhüttetes Eisen zur Veredelung oder Verarbeitung ein weiteres Mal geschmolzen werden konnte. Cupolöfen waren zunächst noch effizient für die Herstellung von Gusseisen, da sie eine hohe Schmelzkapazität haben und die Schmelztemperaturen stabil gehalten werden können. Mit den geringer werdenden Erträgen aus den lokalen Erzgruben in der Umgebung von Zorge mußte das Eisen/der Rohstoff jedoch zunehmend auch aus anderen Teilen Deutschlands oder aus dem Ausland beschafft werden. Weiterhin der Nachteil: Die Holzkohlebefeuerung der Öfen. Das in Steinkohlerevieren hergestellte Eisen blieb weitaus billiger als das aus Zorge kommende.
Am 26.10.1867 kauften die Gebrüder Elzbacher & Co aus Köln vom Herzogtum Braunschweig für nur 150 000 Thaler (heute umgerechnet ca. 4,7 Mill euro) die Hütten- und Grubenanlagen in Zorge und in anderen Dörfern in der Umgebung. Hierunter fielen: die Eisenwerke in Zorge, Tanne, Rübeland, Heuwerk, Altenbrak und Ludwigshütte, die Maschinenfabrik in Zorge und die Marmormühle in Rübeland; die Eisengrubenfelder bei Zorge, Braunlage, Tanne und Hüttenrode sowie die Eisengerechtsame in der Grafschaft Hohnstein (Ilfeld-Stolberg). Die Gebrüder Elzbacher & Co und die Braunschweigischen Berg- und Hüttenwerke gründeten am 15. November 1870 eine Bergbau-Aktien-Gesellschaft unter dem Namen »Harzer Werke zu Rübeland und Zorge«, die ihren Sitz in Blankenburg hatte. Ihr noch heute existierender Nachfolger ist der HARZGUSS in Zorge.
Im Jahre 1895 mußte der Betrieb des Zorger Hochofens eingestellt werden. In der Summe aller Faktoren war ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr möglich. Und so wurden nur ein Jahr später auch die letzten Gruben stillgelegt. Der Arbeitsschwerpunkt der Hüttenwerke in Zorge wurde von nun an auf den Gießereibetrieb verlagert. 1898 beschloß die Betriebsleitung, die Zorger Betriebe in den Süden des Ortes zu verlegen. Die Maschinenfabrik wurde jedoch erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts abgerissen. Die alte Gießerei in der ehemaligen Hochofenhütte im Oberdorf stellte 1912 die Produktion ein.
Wer heute als erholungsuchender Tourist den ruhigen, von Buchenwäldern umsäumten Ferienort Zorge besucht, wird wohl kaum bemerken, daß das Leben in diesem Dorf noch bis zu Beginn dieses Jahrhunderts durch Bergbau und Schwerindustrie bestimmt worden war.
Abbildungen aus WIKIPEDIA und HEIMATMUSEUM ZORGE


